Pressemitteilung SEGEMI: Bessere Gesundheitsversorgung Geflüchteter durch Dolmetschende Lob für Leuchtturmprojekt von SEGEMI zum zehnjährigen Vereins-Jubiläum
Fachleute aus Politik und Gesundheitswesen fordern für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung schon einen besseren Zugang zum deutschen Gesundheitssystem. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Überwindung von Sprachbarrieren, so der Tenor bei einer Fachveranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum des gemeinnützigen Vereins SEGEMI in Kooperation mit der Psychotherapeutenkammer Hamburg. Um fremdsprachigen Patient*innen psychotherapeutische und fachärztliche Behandlung zu ermöglichen, vermittelt SEGEMI durch den Hamburger Dolmetschpool professionelle Dolmetschende an ambulante somatische und psychotherapeutische-psychiatrische Praxen. Die Diskutierenden sprachen sich dafür aus, diese Unterstützung zu einer gesetzlichen Regelleistung und damit bundesweit verfügbar zu machen.
Vorreiter Hamburg setzt sich für bundesweite Regelung ein
Tim Angerer (SPD), Staatsrat der Behörde für Gesundheit und Soziales, wünschte sich einen Brückenschlag über Hamburg hinaus. „Es braucht geschulte und professionelle Sprachmittler und Sprachmittlerinnen mit offenem Herzen. Sprachmittlung hat eine zentrale Funktion für den Zugang zu Versorgung“, sagte Angerer in seinem Grußwort und kündigte an, dass Hamburg sich weiterhin für eine bundesweite Lösung einsetzen werde, damit Sprachmittlung zur Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung werde. Die Behörde finanzierte den Dolmetschpool als bundesweit einzigartiges Modellprojekt von Beginn an und unterstützt ihn mit derzeit knapp 600.000€ jährlich. Die grüne Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitikerin Linda Heitmann äußerte sich skeptisch über Möglichkeiten für eine zeitnahe bundesweite Regelung. Angesichts der gesellschaftlichen Stimmung stehe das Thema derzeit leider nicht besonders weit vorne.
Einzigartiger Dolmetschpool ermöglicht muttersprachliche Behandlung
SEGEMI ermöglicht Behandelnden, sich durch kostenlose Unterstützung des Dolmetschpools mit ihren Patient*innen zu verständigen und sie fachgerecht zu behandeln. 2017 war man mit wenigen hundert Einsätzen jährlich gestartet, koordiniert inzwischen mehr als 4.500 pro Jahr. Mehr als ein Drittel der Einsätze entfallen auf die Sprachen Dari und Farsi für Menschen aus Afghanistan und Iran. Russisch, Arabisch und Türkisch folgen in der Statistik. Der psychiatrisch-psychotherapeutische Bereich bildet mit mehr als zwei Dritteln den Schwerpunkt des Dolmetschpools.
Praxen sollen für stärkere Nutzung der Dolmetschenden motiviert werden
Nahezu 150 ambulante ärztliche und psychotherapeutische Praxen in Hamburg sind derzeit an den Pool angeschlossen. Das ist eine deutliche Steigerung im Lauf der Jahre. Im Vergleich zu der Gesamtzahl aller Praxen in Hamburg ist dies bislang allerdings nur ein Bruchteil von knapp 4%, die dieses kostenlose Angebot in Anspruch nehmen. Heike Peper, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hamburg, kündigte weitere Maßnahmen der Kammer an, um mehr Praxen zu motivieren, Dolmetscher*innen in ihren Praxisablauf zu integrieren. Peper nannte den Dolmetschpool ein bundesweites Leuchtturmprojekt und bedauerte, dass die geplante bundesweite Regelung mit dem Ende der Ampelkoalition gescheitert ist. „Wenn der Zugang zu Gesundheitsversorgung behindert wird, bedeutet das fortgesetzte systematische Ausgrenzung und Diskriminierung“. Viele Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen haben wenig Erfahrung in interkultureller Arbeit. Die Hamburger Psychotherapeutin Paula-Sophie Wilckens berichtete über positive Erfahrungen in ihrer Zusammenarbeit mit Dolmetschenden und rief dazu auf, Hemmungen abzubauen. „Ich freue mich über die Teamarbeit, das haben wir sonst in der ambulanten Therapie nicht.“
Positive Bilanz der psychosozialen Beratung nach zehn Jahren
SEGEMI wurde im September 2015 als Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der seelischen Gesundheit in der Metropolregion Hamburg gegründet. Für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen, die psychisch belastet oder erkrankt sind, bietet der Verein seitdem kostenlose psychosoziale Beratung und Behandlung an – für Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendliche. “Wir konnten in den letzten Jahren durchschnittlich 350 Menschen eine Behandlung ermöglichen, die sonst keine Behandlung bekommen würden“, bilanzierte SEGEMI-Vorstand Mike Mösko zum zehnjährigen Jubiläum des Vereins. Die frühere Patientin Nataliya Ermakova berichtete, dass sie sich nach anfänglicher Skepsis in den Gesprächen mit Dolmetschunterstützung habe öffnen können: “Die Therapie hat mir schließlich das Leben gerettet.”
Schwierige Finanzierungslage für Beratung und Behandlung Geflüchteter
SEGEMI hat sich im vergangenen Jahr mit den beiden Schwesterorganisationen Lichtpunkt und PSB Flucht zu einer Landesarbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren (PSZ) in Hamburg vereinigt. Mösko begrüßte das Vorhaben von Bürgerschaft und Stadt Hamburg, zukünftig eine Sockelfinanzierung für die drei PSZ zu ermöglichen. Die Arbeit von SEGEMI im Bereich des Psychosozialen Zentrums wird derzeit ausschließlich über Fördermittel und Spenden finanziert, u.a. von Amnesty International, der UNO-Flüchtlingshilfe, der Peter Möhrle Stiftung und jüngst der Kiezhelden des FC St. Pauli. Wegen bundesweiter Sparmaßnahmen staatlicher Geldgeber und einer geringeren Spendenbereitschaft sind Fördergelder vor allem seit 2024 deutlich zurück gegangen.
Hoher Behandlungsbedarf psychisch Erkrankter mit Fluchterfahrung
Schätzungsweise 20 bis 30 Prozent der nach Deutschland Geflüchteten leiden an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung – häufig Traumafolgestörungen, wie Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angststörungen. Behandlungsplätze für eine ambulante Psychotherapie sind in Hamburg meist nur mit langen Wartezeiten zu bekommen. Wer durch Flucht psychisch erkrankt ist und nicht ausreichend Deutsch spricht, hat es noch schwerer, einen Platz zu bekommen. Laut Lukas Welz von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) bleiben etwa 97% der psychisch erkrankten Geflüchteten ohne Behandlung. Oftmals verschlimmerten sich Erkrankungen dadurch und machten später eine aufwändigere und teurere Behandlung notwendig.
Mit Kooperationen zu besserer Versorgung
Seit Gründung versucht SEGEMI durch Kooperationen die Versorgung Behandlungsbedürftiger zu verbessern. Der Verein ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband Hamburg und in der BAfF. Beim Dolmetschpool arbeitet man seit Beginn eng mit der Psychotherapeutenkammer zusammen, die auch Mitveranstalterin der Hamburger Tagung am vergangenen Freitag war, die von der Stiftung für Seelische Gesundheit gefördert wurde.
Ansprechpartner: Christoph Heinzle, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (ehrenamtlich)
(040) 300 901 01, presse@segemi.org